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21. April 2022

Wir stimmen ab: Referendum über die Schweizer Beteiligung am Ausbau von Frontex

Die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache (Frontex) wird ausgebaut und die Schweizer Stimmbevölkerung entscheidet am 15. Mai 2022 darüber, ob die Schweiz dabei mitmacht. Discuss it hat beim «Junge Mitte»-Präsident Marc Rüdisüli und Saeed im Namen des «No Frontex»-Komitees über die Vor- und Nachteile einer Schweizer Beteiligung an Frontex nachgefragt.

Obschon der Höhepunkt der europäischen «Flüchtlingskrise» schon ein paar Jahre zurückliegt, wird die europäische Agentur für Grenz- und Küstenschutz in Zukunft stark ausgebaut. Als Schengen-Mitglied soll sich auch die Schweiz am finanziellen und personellen Frontex-Ausbau beteiligen. Was die Abstimmungsvorlage alles vorsieht, warum ein Komitee das Referendum dagegen ergriffen hat und was die Pro- und Contra-Argumente sind, erfährst du in diesem Blogbeitrag.

Warum ist ein Ausbau von Frontex nötig?

Frontex ist eine 2004 gegründete Agentur zum Schutz der Schengen-Aussengrenzen. Personell koordiniert sie den Grenzschutz sowie Rückführungen und stellt technische Ausrüstung zur Grenzsicherung bereit (z.B. Boote oder Flugzeuge). Sie unterstützt dabei die jeweiligen nationalen Behörden, welche weiterhin vorrangig für den Schutz ihrer eigenen Gebiete verantwortlich sind. 

Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 als Folge des Syrischen Bürgerkriegs hat die süd- und osteuropäischen Länder massiv überfordert, weshalb die EU daraufhin den Frontex-Ausbau beschloss. Dies mit dem Ziel, die Schengen-Aussengrenzen besser vor illegaler Migration und Menschenhandel zu schützen. Um die Menschenrechte einhalten zu können, so die Europäische Union, brauche Frontex die nötigen Mittel. 

Das heutige Schengen-Abkommen besteht seit dem 1. März 2008, die Schweiz ist seit 2009 Teil davon. Mitglieder sind neben der Schweiz die meisten EU-Länder sowie Norwegen, Island und Liechtenstein.

Innerhalb des Schengen-Raums erleichtert das Abkommen den Reiseverkehr, da im Binnenraum keine systematischen Grenzkontrollen durchgeführt werden. Es erfolgt jedoch eine Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit (z.B. beim europäischen Fahndungssystem). An den Aussengrenzen arbeiten die Länder hingegen zusammen. Beim Schutz der Aussengrenzen spielt Frontex daher eine wichtige Rolle.

Was verlangt die Abstimmungsvorlage?

Der Frontex-Ausbau kennt drei Neuerungen: Erstens soll Frontex personell ausgebaut werden, um im Bedarfsfall schnell reagieren zu können. Zweitens unterstützt Frontex künftig Länder bei der Rückkehr von ausreisepflichtigen Personen. Drittens wird der Grundrechtsschutz gestärkt. Durch den Einsatz von Grundrechtbeobachter:innen vor Ort sollen Verstösse festgestellt und Massnahmen getroffen werden können.

Als Schengen-Mitglied wird auch von der Schweiz erwartet, sich an den zusätzlichen Kosten zu beteiligen. Bis 2027 soll die Schweiz maximal 39 Vollzeitstellen zur Frontex-Unterstützung schaffen (Frontex will bis dahin insgesamt 10’000 Grenzschützer:innen haben). Finanziell würde die Schweiz etwa 317 Millionen Franken insgesamt bzw. 61 Millionen Franken jährlich (von insgesamt benötigten 6.7 Milliarden Franken) zum Frontex-Ausbau beisteuern. 

Was sind die Argumente der Gegner:innen?

Gegen die Abstimmungsvorlage wurde das Referendum ergriffen. Die Gegner:innen der Vorlage argumentieren in erster Linie, dass die finanzielle Unterstützung der Schweiz die Menschenrechtsverletzungen von Frontex mitverantwortet. Saaed, der vor ein paar Jahren in die Schweiz geflüchtet ist, sagt in der Videoeinsendung vom «No Frontex»-Komitee: «Jeder Mensch hat das Recht, ein Asylgesuch zu stellen. Die Frontex aber schaut weg, wenn Menschen auf der Flucht diese Hilfe brauchen. Die Frontex selbst ist auch an illegalen Pushbacks [Rückführungen] beteiligt, ohne, dass die Menschen ein Asylgesuch stellen konnten.» So lautet ein Vorwurf beispielsweise, dass Frontex systematisch mit der libyschen Küstenwache kooperiere, welche Flüchtlingsboote abfange und zurück nach Libyen bringe.

Die Frontex ist in den letzten Jahren tatsächlich auch immer wieder in Kritik geraten, sogar die EU-Behörde für Betrugsbekämpfung (OLAF) leitete letztes Jahr Ermittlungen wegen Misshandlungs-Vorwürfen ein. Die Vorwürfe reichen von Intransparenz, Wegschauen bis hin zu aktiver Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen. «Mehr Gelder geben heisst, dass es mehr Gewalt an der Grenze gibt. Und es geht nicht, dass sich Europa mit Gewalt an der Aussengrenze abschottet», so Saeed. 

Ebenfalls kritisiert wird, dass die Schweiz als Nicht-EU-Staat nur ein eingeschränktes Stimmrecht hat, jedoch überproportional viel zum Frontex-Budget beitragen müsste. Aus diesen Gründen empfehlen sie die Ablehnung der Vorlage und wünschen sich stattdessen eine Reformation der Frontex.

Was sind die Argumente der Befürwortenden?

Die Befürworter:innen hingegen argumentieren, dass bei einem Nein zum Frontex-Ausbau der Ausschluss der Schweiz aus dem Schengen-Verbund droht. Dies hätte für die Schweiz durchaus grosse Folgen: 

Die Reisefreiheit wäre hinfällig. «Wer von Nachbarländern in die Schweiz ein- und ausreist, muss heute keinen Pass zeigen. Ohne Schengen fällt das weg und es gibt wieder mühsame Grenzkontrollen», so Marc Rüdisüli (Junge Mitte). Bei über 2 Millionen Grenzgänger:innen täglich würde das zu massiven Wartezeiten führen. 

Eine andere Befürchtung, die der Präsident der Jungen Mitte äussert, betrifft eine Zunahme von Asylgesuchen, da Migrant:innen, die bereits ein Gesuch im Schengen-Raum gestellt haben, in der Schweiz nochmals einen Antrag stellen könnten.

Weiter würde ein Ausschluss der Schweiz aus dem Schengen-Verbund die Sicherheit gefährden. Das Schengener Informationssystem helfe auch der Schweiz bei der Bekämpfung transnationaler Kriminalität, des Terrorismus und der illegalen Migration. Auf dieses System hätten die Schweizer Sicherheitsbehörden keinen Zugriff mehr. 

«Bei einem Ja zu Frontex kann die Schweiz ausserdem aktiv mithelfen, die Menschenrechtssituation an den Grenzen Europas zu verbessern. Die Schweiz unterstützt das Grundrechtbüro seit 2021 mit zwei Expertinnen. Bei einem Nein zieht sich die Schweiz hingegen selbst aus der Verantwortung und damit ist niemandem geholfen», schlussfolgert Rüdisüli (Junge Mitte). Aus diesen Gründen empfiehlt er die Annahme der Vorlage.

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Bundesrat und Parlament befürworten die Schweizer Beteiligung an Frontex. 

Erstellt von Sophie Ruprecht