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12. August 2020

Nach jahrelangem Seilziehen: Ist die Zeit reif für den Vaterschaftsurlaub?

Für die einen ist er ein purer Luxus und finanziell nicht tragbar, für die anderen ist er als Unterstützung frischgebackener Familien unerlässlich: der Vaterschaftsurlaub. Soll er staatlich finanziert werden – und wenn ja, in welcher Form? Diese Frage ist in Bundesbern seit Jahren ein ganz heisses Eisen. Nun kommt die Vorlage vors Volk: Im September stimmen wir darüber ab, ob Väter nach der Geburt ihres Kindes zwei Wochen frei bekommen sollen.

Es war im Jahr 2011, als die Idee eines Vaterschafts- oder Elternurlaubs zum ersten Mal als Postulat auf dem Tisch des Bundesrats landete. Damals befand die Exekutive, dass dieses Mittel für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht oberste Priorität habe. 2016 versuchten es die Befürworter_innen erneut, doch auch diesmal scheiterten sie: Die parlamentarische Initiative für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub wurde abgelehnt.

Parlament befürwortet staatliche Finanzierung

Doch das Anliegen wurde noch lange nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Die Entscheidung gegen den Vaterschaftsurlaub rief viel Unwillen hervor und führte 2017 zur Einreichung der Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie», welche einen vierwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaub forderte. Das Initiativkomitee wurde von Elternorganisationen und über 60 Verbänden unterstützt. Durch die breite Abstützung des Anliegens erkannte das Parlament die gesellschaftliche Relevanz und sah Handlungsbedarf. So nahm es im September 2019 einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative an, welcher die Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs vorsah.

Es schien, als wäre die Zeit reif für einen staatlich finanzierten Vaterschaftsurlaub. Doch ein Komitee aus den Reihen der Jungfreisinnigen und der SVP ist anderer Meinung und ergriff das Referendum gegen den Parlamentsbeschluss. Deswegen stimmen wir am 27. September über die Vorlage für einen staatlich finanzierten Vaterschaftsurlaub ab.

Zwei Wochen Urlaub statt einem Tag

Was soll sich mit der neuen Regelung ändern? Bisher ist im Schweizer Gesetz bloss der Mutterschaftsurlaub verankert. 14 Wochen beträgt jener, während ein Vater nach der Geburt in der Regel vom Betrieb aus einen oder zwei Tage frei bekommt. Mit der neuen Vorlage sollen daraus 14 nicht betrieblich, sondern gesetzlich geregelte Urlaubstage werden, die der Vater im ersten halben Jahr nach der Geburt beziehen kann – entweder an einem Stück oder in einzelnen Tagen. Die Kosten für einen solchen staatlich finanzierten Vaterschaftsurlaub belaufen sich auf rund 230 Millionen Franken pro Jahr. Finanziert werden soll dies über die Erwerbsersatzordnung (kurz EO), welche auch die Entschädigungen bei Mutterschaft und militärischer Dienstpflicht regelt.

Was spricht für und was spricht gegen einen staatlich finanzierten Urlaub für frischgebackene Väter? Für die einen greift der Vorschlag von zwei Wochen viel zu kurz – für sie müssten es mindestens vier Wochen sein. Andere halten das Konzept eines Vaterschaftsurlaubs ganz grundsätzlich für überholt und fordern stattdessen einen Elternurlaub, bei dem die Eltern die freien Tage selbst untereinander aufteilen können. Während diese beiden Positionen vereinbar sind mit der neuen Vorlage und deshalb kein Referendum ergriffen haben, findet das überparteiliche Referendumskomitee, es brauche gar keinen Vaterschaftsurlaub. Welche Position überzeugt am meisten? Discuss it hat die wichtigsten Argumente zusammengetragen.

«Moderne Väter wollen Verantwortung übernehmen»

Thomas Bauer ist Mitglied des Komitees «Vaterschaftsurlaub jetzt!», das sich für den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub einsetzt. Für ihn ist klar: Ein einziger freier Tag  nach der Geburt seines Kindes reicht für den Vater nicht aus. «Gleich viel wie beim Umzug – das kann doch nicht sein», kritisiert Bauer. Die Frauen bräuchten nach der Geburt Unterstützung. Gemäss Studien würden Mütter gesundheitlich davon profitieren, wenn sie nach der Geburt von ihren Partnern unterstützt werden. Und die modernen Väter möchten Verantwortung übernehmen, stellt Bauer fest: «Auch sie wollen nach der Geburt nicht sofort wieder arbeiten gehen, sondern da sein für ihr Kind und ihre Frau.»

Viele, vor allem grössere Firmen und die öffentliche Hand bieten ihren Angestellten schon jetzt freiwillig einen mehrwöchigen Vaterschaftsurlaub an. Laut Bauer reicht dies aber nicht aus, da es in vielen kleineren und mittelgrossen Unternehmen keinen Vaterschaftsurlaub gibt: «Alle Väter und Familien sollen einen Anspruch darauf haben, nicht nur die privilegierten.» Die gemeinsame Familienzeit nach der Geburt stärke den Zusammenhalt der Familie, was besonders in schwierigen Zeiten wichtig sei – das habe man während der Corona-Zeit gut gespürt.

Thomas Bauer ortet bei der Schweiz einen Nachholbedarf in der Familienpolitik. Das zeige sich beim Blick nach Europa: «In fast allen Ländern Europas gibt es den Vaterschaftsurlaub schon – nur in der Schweiz nicht.» Es sei nun an der Zeit, dies zu ändern.

«Familie ist Privatsache»

Diametral anderer Meinung in Bezug auf den staatlich finanzierten Vaterschaftsurlaub ist Nicolas A. Rimoldi. Er ist Mitglied des Referendumskomitees, das sich gegen die neue Vorlage wehrt. Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub möge nach einer guten Idee klingen, doch er sei das genaue Gegenteil: «Zur Finanzierung müssten neue Steuern und Abgaben erhoben werden, welche die Familien zusätzlich belasten», meint Rimoldi. Das könnten die Familien in der aktuellen, wirtschaftlich schwierigen Lage nicht verkraften. Für Rimoldi ist deswegen klar: «Einen staatlichen Vaterschaftsurlaub können wir uns momentan schlicht nicht leisten.»

Zudem ist Rimoldi grundsätzlich der Meinung, dass sich der Staat bei der Familienpolitik zurückhalten soll: «Es ist nicht die Aufgabe des Staates zu sagen, was für die Familien das Beste ist – das sollen sie selbst bestimmen.» Familie sei Privatsache, da müsse sich der Staat heraushalten. Wenn Unternehmen von sich aus einen Vaterschaftsurlaub anbieten würden, sei das eine gute Sache, meint Rimoldi. «Doch wir können nicht alle dazu zwingen. Das ist einfach zu teuer.» Am meisten helfe man der ganzen Bevölkerung und vor allem den Familien, indem man ihre Abgaben und Steuern tief halte. Deswegen ist er gegen einen staatlich finanzierten Vaterschaftsurlaub.

Informiere dich!

Welchen vorläufigen Ausgang nimmt die jahrelange Debatte um die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs? Das wird sich am 27. September zeigen. Du hast die Entscheidung mit in der Hand. Nutze die Chance und gib deine Stimme ab!

Alle Aussagen von Thomas Bauer und Nicolas A. Rimoldi findest du im Video über diesem Blogbeitrag.

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Erstellt von Ann-Kathrin Amstutz