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18. November 2020

Kriegsgeschäfte-Initiative: Braucht die Schweiz ein ausgeweitetes Finanzierungsverbot?

Während das Pro-Komitee Schweizer Geldflüsse an Kriegsmaterialproduzenten auf der ganzen Welt verhindern will, sieht das Contra-Lager eine Gefahr für AHV und KMU. Entscheiden wir uns mit dieser Initiative für eine friedlichere Welt oder für eine Schwächung unseres Finanzplatzes?

Die Corona-Situation hat sich in den letzten Wochen wieder verschärft, weswegen sich Discuss it erneut für die digitale Podiums-Form entschieden hat. In einer online Diskussion mit den beiden Nationalrätinnen Marionna Schlatter (Grüne, ZH) und Maja Riniker (FDP, AG) wurde über die bevorstehende Kriegsgeschäfte-Initiative (mit ganzem Namen: «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten») diskutiert.

Der Schweizer Finanzplatz ist einer der weltweit führenden und wettbewerbsfähigsten Finanzplätze. Im globalen Vergleich rangiert laut des Global Financial Centres Index 2019 Zürich auf dem 14. und Genf auf dem 26. Platz von insgesamt 104 Finanzzentren. Für den Wohlstand der Schweiz ist der Finanzsektor eine wesentliche Stütze und machte 2018 rund 9.4% der gesamten Wirtschaftsleistung der Schweiz aus. Riskiert man mit Annahme der Initiative eine Schwächung dieser finanzkräftigen Säule?

Schweizer Finanzplatz mit baldiger Vorbildfunktion?

Diese Vorlage fordert, dass es für die Nationalbank, Pensionskassen und Stiftungen künftig verboten sein soll, Unternehmen finanziell zu unterstützen also beispielsweise deren Aktien zu kaufen , welche mehr als 5% ihres Jahresumsatzes mit der Herstellung von Kriegsmaterial erzielen (für mehr Informationen zum Hintergrund der Initiative, lies diesen Blogartikel). Kein anderes Land würde bei einer Annahme solch strikte Vorgaben kennen, wie sie die Initiative der Jungen Grünen und der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) fordert. Wieso also sollte die Schweiz eine Vorreiterrolle einnehmen?

Für Marionna Schlatter ist klar, dass die Schweiz in der Diskussion rund um die weltweite Kriegsmaterial-Finanzierung eine besondere Rolle einnimmt: «In der Schweiz wird ein Viertel des weltweiten Vermögens verwaltet, wodurch unserem Finanzplatz eine gewichtige Position zukommt.» Ein weiteres Argument, um die Vorbildfunktion im Ländervergleich zu übernehmen, sieht sie in unserer Neutralität und unserer humanitären Tradition, der die Schweiz mit dieser Initiative besser nachkommen könne. Maja Riniker widerspricht, da aus ihrer Sicht durch Annahme der Initiative die Welt nicht friedlicher werden würde, sondern bloss eine Produktionsverlagerung der Rüstungsgüter in andere Länder zur Folge hätte.

«Wir richten in unserem Land grossen Schaden an»

Maja Riniker sieht mit einer Annahme der Initiative viel eventuell möglichen Schaden auf die Schweiz zukommen: «Durch Tangierung von Unternehmen werden Arbeitsplätze gefährdet, da die Unternehmen nicht mehr im Rüstungsgüter-Sektor tätig sein dürften.» Zudem weist die FDP-Politikerin darauf hin, dass mit den neuen Forderungen die Unabhängigkeit der Nationalbank – die in der Bundesverfassung festgehalten ist – arg beschnitten würde. Doch nicht nur die Finanzierungsmöglichkeit der Nationalbank werde damit eingeschränkt, sondern auch die der staatlichen Institutionen und Pensionskassen.

Marionna Schlatter sieht die Schweiz in der Verpflichtung, diese Initiative anzunehmen, da Geld die Politik massgeblich beeinflusse. Solange der Schweizer Finanzplatz für so viele Investitionen in Kriegsmaterialproduzenten verantwortlich sei, könne man laut ihr die übrigen Bemühungen als ‹heuchlerisch› bezeichnen. «Pensionskassen haben 2019 bis zu vier Milliarden in Rüstungsgüter investiert sowie bis zu drei Milliarden in Atomwaffen-Hersteller – das gehört sich nicht», meint die Politikerin der Grünen. Sie sieht die Schweiz in der Verantwortung, ihre Investitionen in Zukunft nachhaltig zu tätigen. Es lohne sich nicht nur, es sei es auch wert, diesen Weg zu beschreiten.

Ist die 5% Quote in der Bundesverfassung sinnvoll?

«Nachhaltiges Investieren ist richtig und geschieht bereits auf freiwilliger Basis», hält Maja Riniker fest und meint des Weiteren: «Deswegen braucht es keine Verfassungsänderung mit einer starren Quote, die vor allem Mehraufwand generiert.» Marionna Schlatter hingegen erachtet den festgelegten Schwellenwert als notwendig, da nur die fortschrittlichsten Pensionskassen – wie beispielsweise diejenige der Städte Zürich, Biel und neuerdings auch Lausanne – von Kriegsmaterialinvestitionen absehen würden. Alle mit ethischem Gewissen würden sich heute dem nachhaltigen Investieren verschreiben, die Übrigen täten dies ohne Verpflichtungen aber nicht, so Schlatter. «Unser Gesetz kennt bei Atomwaffenproduzenten das direkte Finanzierungsverbot. Dass jedoch indirekte Geldflüsse noch erlaubt sind, zeigt, dass das Gesetz nicht weit genug ausgebaut ist», erklärt die Nationalrätin der Grünen.

Auf diese Aussagen hin fragte Discuss it-Moderatorin Flurina Wäspi die FDP-Politikerin Riniker, weshalb ihrer Meinung nach negative Auswirkungen auf den Markt entstehen sollten, schliesslich gäbe es ja sowieso bereits Banken, die sich auf freiwilliger Basis von Kriegsmaterialinvestitionen distanzieren würden. Maja Riniker sieht die Gefähr in der starren Quote: «[Von den Einschränkungen] wären etwa 3’000 Unternehmen betroffen, da sie neu als Kriegsmaterialproduzenten gelten würden und somit auch keinen Kredit mehr erhalten könnten.» Ihrer Meinung nach seien dadurch in der Folge viele Arbeitsplätze gefährdet. Marionna Schlatter zweifelt die Zahl der betroffenen Unternehmen an, da sie überzeugt ist, dass der grösste Teil der Unternehmen diese 5%-Schwelle nicht überschreiten würde.

«Ja, wir wollen der internationalen Rüstungsindustrie den Geldhahn zudrehen»

Maja Riniker klagt die Forderungen im Initiativtext an: «Die Initiative will der Rüstungsindustrie den Geldhahn zudrehen.» Sie ruft in Erinnerung, dass sich die Schweiz mehrfach für die Schweizer Armee entschieden habe. Denn diese Initiative verfolge laut Riniker auch das Ziel, der inländischen Rüstungsindustrie die Geldzuflüsse zu verwehren. «Wir sind auf eine Armee angewiesen. Wir haben für neue Kampfflugzeuge gestimmt und diese müssen im Zuge der Kompensationsgeschäfte teilweise in der Schweiz produziert werden», dies könne bei einer allfälligen Annahme der Vorlage für Schwierigkeiten sorgen, gibt die Aargauer Politikerin zu bedenken.

Marionna Schlatter geht nicht auf die nationale Ebene ein, schliesslich sei das Ziel der Initiative ganz klar: Man wolle der internationalen Rüstungsindustrie die Gelder entziehen – «wir wollen keinen Krieg und keinen Tod finanzieren».

Kriegsgeschäfte-Initiative: Eine Gefahr für unsere Altersvorsorge?

«Es gibt diverse Börsenindizes und Fonds, die Kriegsmaterialproduzenten ausgeschlossen haben und die zunehmend bessere Renditen erzielen», erklärt Marionna Schlatter. Es müsse in Zukunft mehr Transparenz auf dem Finanzmarkt herrschen, denn sie wolle mit ihrem Geld in der Nationalbank und AHV keinerlei Kriegsmaterialproduzenten unterstützen.

Wenn es nach Maja Riniker geht, so werde mit der Initiative den an sich schon defizitären Vorsorgewerken noch mehr Steine in den Weg gelegt und die Geldanlage verkompliziert. Zudem würden bereits diverse Bestrebungen in Richtung nachhaltiger Investition bestehen. So habe beispielsweise der Bundesrat dieses Jahr einen Bericht vorgelegt, in dem es um die Nachhaltigkeit im Finanzsektor Schweiz geht.

Bundesrat und beide Kammern sagen ‹Nein›

Sowohl der Bundesrat, als auch National- und Ständerat empfehlen, die vorliegende Volksinitiative abzulehnen. Im Juni haben beide Kammern mit einem klaren Votum gegen die Vorlage gestimmt. Im Nationalrat zählte man 125 Nein-Stimmen und 72 Ja-Stimmen bei keiner Enthaltung. Im kleinen Rat wurden damals 32 Nein-Stimmen und 13 Ja-Stimmen und null Enthaltungen protokolliert. Doch wie sieht es in der Schweizer Bevölkerung aus? Gemäss der 2. SRG-Trend-Umfrage des gfs.bern ist ein Volksmehr innerhalb des Fehlerbereichs nicht mehr sicher. 50% der befragten Stimmberechtigten sind für die Initiative, 45% dagegen (Befragungszeitraum: 2. bis 11. November 2020). Wähler_innen der Grünen, der SP und der GLP würden mit einer klaren Mehrheit die Vorlage unterstützen, während FDP, SVP und CVP-Stimmende eher gegen die Initiative plädieren.

Neben der 5%-Quote zur Kennzeichnung von Kriegsmaterialproduzenten, fordert der Initiativtext (Art. 107a, Abschn. 4) den Bund auf, sich auf nationaler und internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass nicht nur für die Nationalbank, Pensionskassen und Stiftungen, sondern auch für Banken und Versicherungen ‹entsprechende Bedingungen› gelten sollen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft weist darauf hin, dass die Auswirkungen auf den Schweizer Finanzplatz noch nicht abgeschätzt werden können, da die Folgen eng mit der konkreten Umsetzung dieses Abschnittes gekoppelt seien.

Informiert euch und gebt eurer Meinung Gewicht

Folgt ihr der Empfehlung des Bunderates oder unterstützt ihr die Initiative der GSoA und der Jungen Grünen? Reichen freiwillige Bestrebungen hinsichtlich nachhaltiger Investitionen oder muss ein ausgeweitetes Finanzierungsverbot eingesetzt werden? Denkt ihr, dass wir als Schweiz mit einer allfälligen Vorreiterrolle ein Zeichen für mehr Frieden in der Welt setzen könnten, oder dass wir eher unseren Finanzplatz schwächen würden?

Lasst es uns wissen! Und geht am 29. November abstimmen, denn jede Stimme zählt!



Alle Aussagen der in diesem Artikel vorkommenden Personen findest du im Video über diesem Beitrag.



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Erstellt von Manuel Bucher