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16. Februar 2024

Braucht es strengere Regeln für Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen?

In der Schweiz wird rege demonstriert. In aller Regel verlaufen Demonstrationen in der Schweiz friedlich. Manchmal kommt es jedoch zu Gewaltausschreitungen und Sachschäden, die letztlich die Allgemeinheit bezahlt. Die Anti-Chaoten-Initiative möchte dagegen vorgehen und die Verursachenden finanziell stärker in die Pflicht nehmen.

Ausgangslage

Demonstrationen stehen in der Schweiz und zahlreichen anderen Ländern beinahe auf der Tagesordnung. So sorgten jüngst beispielsweise die Anti-WEF-Demo in Zürich, die Bauernproteste in Berlin oder die Proteste gegen die Rentenreformen in Frankreich für Aufsehen. Die Gewährung politischer Kundgebungen und Demonstrationen sind fester Bestandteil funktionierender Demokratien.

Allein in der Stadt Zürich fanden gemäss Statistiken der Stadtpolizei im Jahr 2022 rund 103 (un)bewilligte Demonstrationen statt. Diese Statistik beinhaltet ausschliesslich Demonstrationen. Andere Arten politischer Aktionen, wie zum Beispiel Kundgebungen oder Mahnwachen sind nicht darin enthalten.

Während die meisten Demonstrationen friedlich ablaufen, kommt es trotzdem immer wieder zu Gewaltausschreitungen und Sachbeschädigungen. Dies wiederum erfordert aufwändige Polizeieinsätze. Die Kosten dafür zahlen oftmals die Steuerpflichtigen. Als Reaktion darauf lancierte die Junge SVP im Kanton Zürich die «Anti-Chaoten-Initiative». Diese sieht vor, dass Teilnehmende und Organisatoren solcher Kosten dafür haften müssen und die Steuerzahlenden dadurch finanziell entlastet werden.  

Welche Regeln bestehen heute?

Gemäss dem Polizeigesetz des Kantons Zürich können die Kosten eines ausserordentlichen Polizeieinsatzes bereits heute den Veranstaltenden auferlegt werden. Sofern die Verursachenden eines solchen Polizeieinsatzes vorsätzlich oder grobfahrlässig gehandelt haben, können auch ihnen Kosten auferlegt werden. Diese Kosten können, aber müssen nicht an die Veranstaltenden oder Verursachenden übertragen werden. Die Zürcher Gemeinden handhaben dies unterschiedlich. Personen, die während Veranstaltungen Sachbeschädigung begehen oder andere Schäden verursachen, können ebenfalls bereits heute finanziell dafür belangt werden. 

Eine kantonsweite Bewilligungspflicht existiert heute nicht. Im Kanton Zürich bestimmt jede Gemeinde selbst, ob und wann eine Bewilligung für eine Demonstration, Kundgebung oder andere Veranstaltungen nötig ist und wann eine solche Bewilligung erteilt wird. Wer also beispielsweise eine Demonstration in Thalwil durchführen möchte, muss, falls es die Gemeinde vorschreibt, eine Bewilligung bei der Gemeinde Thalwil einreichen. Im Anschluss entscheidet die Gemeinde Thalwil, ob eine Bewilligung erteilt wird oder nicht. Auch hier ist die Praxis der Zürcher Gemeinden uneinheitlich.  

Die kantonale Volksinitiative möchte eine Bewilligungspflicht für Demonstrationen, Kundgebungen und weitere Veranstaltungen in allen Gemeinden des Kanton Zürichs einführen. Zudem sollen die Veranstaltenden und Teilnehmenden von illegalen Demonstrationen, Kundgebungen oder anderen Veranstaltungen für die Kosten des Polizeieinsatzes oder allfälligen anderen Schäden haften. Im Falle, dass es bei bewilligten Veranstaltungen zu Schäden oder Gewalt kommt, sollen die Verursachenden finanziell belangt werden. Schliesslich möchte die Initiative, dass bei Räumungen von Hausbesetzungen die daran beteiligten Besetzenden oder Organisationen die Kosten übernehmen.

Der Kantonsrat lehnt die Initiative ab und hat einen Gegenvorschlag formuliert. Gemäss dem Gegenvorschlag sollen die Kosten ausserordentlicher Polizeieinsätze in Zukunft zwingend  den Verursachenden verrechnet werden, sofern diese vorsätzlich – also bewusst – gehandelt haben. Des Weiteren soll kantonal eine Bewilligungspflicht eingeführt werden. Der Gegenvorschlag präzisiert, dass es in die Zuständigkeit der Gemeinden fällt, diese Bewilligungen zu erteilen.

  • Beide Abstimmungsvorlagen sehen vor, dass sich «Chaoten» stärker an den verursachten Kosten beteiligen sollen. Gemäss der Initiative sollen bei illegalen Demos die Teilnehmenden und Veranstaltenden für die Kosten der Polizeieinsätze, Sachbeschädigungen oder anderen Schäden aufkommen. Ebenfalls sollen Personen, die bewilligte Demos stören und Kosten verursachen, dafür haften. Der Gegenvorschlag geht weniger weit. Er möchte auch eine zwingende Kostenbeteiligung, aber nur bei ausserordentlichen Polizeieinsätzen. Dabei sollten sich nur die Personen an den Kosten beteiligen müssen, die diese vorsätzlich verursacht haben.
  • Die Initiative und der Gegenvorschlag möchten beide eine kantonale Bewilligungspflicht für Demos und weitere Veranstaltungen einführen. Die Initiative präzisiert nicht, wer für die Erteilung dieser Bewilligungen zuständig ist. Der Gegenvorschlag verlangt hingegen explizit, dass die Gemeinden die Bewilligungen erteilen sollen.
  • Die Initiative will, dass die Kosten für die Räumung von besetzten Gebäuden von den Besetzenden übernommen werden. Der Gegenvorschlag beinhaltet keine Regeln zur Kostenbeteiligung im Falle besetzter Liegenschaften.

 

Was wären die Konsequenzen der Volksinitiative?

Bei Annahme der Initiative würde sich Folgendes ändern: 

1) Im gesamten Kanton Zürich gäbe es eine Bewilligungspflicht für Demonstrationen, Kundgebungen und ähnliche Veranstaltungen, die auf öffentlichem Boden stattfinden. Anders als bisher gälte für alle Zürcher Gemeinden damit die gleiche Regelung.  

2) Heute ist die Weiterverrechnung von Kosten optional. Wird die Initiative angenommen, wäre diese zwingend. 

3) Eine weitere Änderung besteht darin, dass bei illegalen Veranstaltungen neu auch Teilnehmende oder deren Organisation für die entstandenen Kosten haften müssten. Im letzten Sommer wurde zum Beispiel die Velo-Demo «Critical Mass» ohne Bewilligung durchgeführt. Mit der neuen Regelung hätten in diesem Fall somit auch die Teilnehmenden für die entstandenen Polizeikosten aufkommen müssen.

Was hat diese Volksinitiative mit Grundrechten zu tun?

Ein Diskussionspunkt im Zusammenhang mit der Anti-Chaoten Initiative sind die Grundrechte. Konkret geht es um die Versammlungsfreiheit und die Meinungsäusserungsfreiheit. Gemäss diesen Grundrechten steht es den Menschen zu, sich friedlich zu versammeln und zu demonstrieren sowie ihre Meinung frei zu äussern oder zu verbreiten.

Die Schweiz hat internationale Menschenrechtsverträge unterzeichnet. Damit hat sie sich verpflichtet, die darin enthaltenen Menschenrechte zu gewährleisten. Die Schweiz hat diese Rechte in ihrer Bundesverfassung als Grundrechte aufgeführt. Diese Rechte umfassen beispielsweise das Folterverbot oder die Rechtsgleichheit, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sind.

Die Gegner:innen der Initiative sehen die Grundrechte in Gefahr. Sie befürchten, dass die drohende Kostenauferlegung die Menschen zukünftig davon abhalten könnte, an Demonstrationen oder Veranstaltungen teilzunehmen. Besonders bei unbewilligten Veranstaltungen, wo auch Teilnehmenden Kosten auferlegt werden sollen. Die Initiative würde die Menschen somit daran hindern, ihre Meinung frei zu äussern und sich zu versammeln. 

Die Befürwortenden sehen die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit nicht davon bedroht. Schliesslich beinhalten diese Grundrechte nicht Versammlungen, bei denen es zu Gewalt oder anderem rechtswidrigen Verhalten kommt. Gemäss den Initiant:innen würde die Bewilligungspflicht die Sicherheit von Veranstaltungen, Demos und Kundgebungen sogar erhöhen, da sich die Polizei besser auf ihren Einsatz vorbereiten kann.

Wie steht ihr dazu? Lässt sich die Initiative problemlos mit den Grundrechten vereinbaren? Oder steht sie im Konflikt mit den Grundrechten? 

Kantonsweite Regeln oder Gemeindeautonomie?

Aktuell sind die Gemeinden für die Kostenauferlegung und die Erteilung von Bewilligungen zuständig. Es bestehen Unterschiede in Bezug auf die Bewilligungspflicht und die Kostenverrechnung. Zum einen sind Veranstaltungen oder Demonstrationen nicht in allen Gemeinden bewilligungspflichtig. Zum anderen entscheiden die Gemeinden selbst, ob sie Kosten weiterverrechnen. Die Initiative möchte eine Bewilligungspflicht in allen Gemeinden des Kanton Zürichs. Es bleibt jedoch unklar, ob der Kanton oder die Gemeinden die Bewilligungen erteilen sollten.

Die Initiant:innen kritisieren die Unterschiede in der Praxis verschiedener Gemeinden. Besonders in der Stadt Zürich, in der viele Veranstaltungen stattfinden, komme es kaum zu einer Kostenverrechnung. Diesbezüglich solle es zwischen den Gemeinden keine Rechtsungleichheit geben. 

Die Gegner:innen der Initiative erachten dies als Eingriff in die Selbstständigkeit der Gemeinden. In der Verfassung sei die Autonomie der Gemeinden festgeschrieben. Somit sollten die Gemeinden selbst über eine allfällige Bewilligungspflicht entscheiden und festlegen, wann eine Bewilligung erteilt wird. Der Gegenvorschlag sieht einen Mittelweg vor. 

Haltet ihr es für ungerecht, wenn beispielsweise in der Stadtgemeinde Zürich die Kosten einer illegalen Demo nicht an die Veranstaltenden weiterverrechnet werden, während die Veranstaltenden derselben Demo in einer anderen Zürcher Gemeinde die Kosten tragen müssten? Oder ist es eurer Meinung nach wichtiger, dass jede Gemeinde selbst darüber entscheiden kann, wie sie in solchen Fällen vorgeht?

Erstellt von Rebekka Isler