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19. Oktober 2022

Auch Gletscher können politisch sein

Vielleicht hast du beim Urlaub in den Bergen auch schon einen Gletscher gesehen. Doch hast du dabei auch automatisch an Politik gedacht? Die Gletscher-Initiative verbindet die riesigen Eismassen mit Gesetzen, Verfassungsänderungen und Klimazielen. Was es damit auf sich hat, erfährst du im heutigen Blog.

Von 1931 bis 2016 hat sich das Volumen der Gletscher in der Schweiz halbiert. In diesem Zeitraum sind 62 Kubikkilometer Eis geschmolzen. Damit sind die Gletscher nicht länger nur ein beeindruckendes Naturphänomen, sondern auch Gegenstand politischer Debatten geworden. Die 2019 eingereichte Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)», die den Klimaschutz in der Schweiz stärken will, nutzt das Bild der schwindenden Gletscher sogar für den Titel ihrer Initiative. Doch wie ist die Gletscher-Initiative überhaupt entstanden? Und warum wurde sie vom Initiativkomitee jüngst zurückgezogen?

Wie kam es zur Gletscher-Initiative?

2015 hat die Schweiz als eines von 195 Ländern das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Ziel des Pariser Klimaabkommens ist, die durch den Menschen verursachte Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Erreicht werden soll dieses Ziel durch «Netto-Null-Emissionen» in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. «Netto-Null» bedeutet, dass alle ausgestossenen Treibhausgase durch Reduktionsmassnahmen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen.

2018 wurde der Verein «Klimaschutz Schweiz» gegründet, der die Ziele des Pariser Klimaabkommens in der Schweizer Verfassung verankern will.  2019 begann die Sammlung der Unterschriften für ihre Initiative. Um eine eidgenössische Volksinitiative einzureichen, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 Unterschriften gesammelt werden. Für die Gletscher-Initiative wurden innerhalb nur eines halben Jahres rund 113’000 Unterschriften gesammelt. Somit konnte die Initiative im November 2019 eingereicht werden.

Was will die Gletscher-Initiative?

Um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, muss die Schweiz bis 2050 ihre Emissionen auf «Netto-Null» senken. Die Gletscher-Initiative will dies in der Verfassung festhalten. Das bedeutet, dass per Verfassung in 30 Jahren keine Treibhausgase wie CO2 mehr ausgestossen werden sollen. Und falls sich der Ausstoss nicht vermeiden lässt, müssen die Gase der Atmosphäre wieder entzogen werden, um sie zu kompensieren.

Bund und Kantone sollen sich dabei nicht nur in der Schweiz selber, sondern auch aussenpolitisch für mehr Klimaschutz einsetzen. Weiter sollen ab 2050 keine fossilen Brenn- und Treibstoffe wie Heizöl, Benzin, Erdgas oder Kohle mehr in Verkehr gebracht werden.  

Warum wurde die Gletscher-Initiative zurückgezogen?

Nach Einreichung der Initiative wurde sie im Parlament diskutiert. National- und Ständerat haben dabei einen indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative ausgearbeitet. Dieser wird von der SP, den Grünen, der GLP, der MITTE und Teilen der FDP unterstützt. Bei einem indirekten Gegenvorschlag schlägt das Parlament anstatt einer Verfassungsänderung eine Gesetzesänderung vor, die aber dieselben politischen Ziele wie die eingereichte Initiative verfolgt. Wenn die Initiative an der Urne abgelehnt wird, tritt der Gegenvorschlag automatisch in Kraft. Die Initiative kann ausserdem zugunsten des Gegenvorschlags zurückgezogen werden; dann tritt dieser ebenfalls in Kraft und über die Initiative wird nicht abgestimmt. Das ist bei der Gletscher-Initiative nun passiert.

Auch der indirekte Gegenvorschlag hat zum Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf «Netto-Null» zu senken. Zudem soll der Klimaschutz mit mehr als drei Milliarden Franken subventioniert werden. Das Geld soll einerseits in die Entwicklung von Technologien fliessen, andererseits aber auch bei Heizungsersatz und Energieeffizienz eingesetzt werden.

Das Initiativkomitee ist mit dem indirekten Gegenvorschlag zufrieden und hat deshalb die Initiative bedingt zurückgezogen. Das heisst, dass die Initiative als zurückgezogen gilt, wenn der Gegenvorschlag in Kraft tritt. Wird allerdings das Referendum gegen den indirekten Gegenvorschlag ergriffen und dessen Gesetz abgelehnt, so kommt die Gletscher-Initiative trotzdem vors Stimmvolk.

Was geschieht nun?

Die SVP lehnt sowohl die Gletscher-Initiative selber als auch den parlamentarischen Gegenvorschlag ab. Sie hat bereits erfolgreich das Referendum gegen den Gegenvorschlag ergriffen. Das bedeutet, dass sie innerhalb von sechs Monaten 50’000 Unterschriften gegen die Gesetzesänderung gesammelt hat. Somit kommt es zu einem relativ seltenen Vorfall, dass also ein indirekter Gegenvorschlag ohne Initiative an die Urne kommt. Voraussichtlich im Juni 2023 wird darüber abgestimmt, ob das Gesetz gemäss parlamentarischem Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative geändert werden soll. Anders, als wenn die Initiative zur Abstimmung gekommen wäre, braucht es zur Annahme lediglich ein Volks- und kein Ständemehr.

Etwa 60 Kubikkilometer Eis – genug, um den Zürichsee 16 Mal zu füllen – beträgt das heutige Volumen der Gletscher in der Schweiz. Und diese Eismassen bringen auch politisch einiges in Bewegung. Was ist deine Meinung dazu? Bist du für oder gegen die Annahme des Gegenvorschlags zur Gletscher-Initiative im Juni 2023? Findest du gut, dass das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hat? Schreib uns deine Meinung in die Kommentare!

Erstellt von Alina Zumbrunn