26. Juni 2025
Die Schweizer Familienpolitik
Wahrscheinlich lebst auch du mit deinen Eltern oder Erziehungsberechtigten zusammen. Aber hast du schon einmal überlegt, wie die Politik deine Familie beeinflusst? Im heutigen Blog liest du von drei politischen Vorstössen, die das Familienleben in der Schweiz verändern könnten.
In der Schweiz gibt es rund 1.1 Millionen Familienhaushalte. Das sind Haushalte mit einem Elternteil oder einem Paar, in denen Kinder unter 25 Jahren leben. Für diese Familien ist das Leben in der Schweiz nicht immer einfach: Etwa jede vierte Familie mit einem Elternteil und jede zehnte Familie mit zwei Elternteilen haben Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen.
Finanzielle Probleme können zum Beispiel daher kommen, dass 14 % der Männer und 74 % der Frauen in Familienhaushalten nur teilzeiterwerbstätig sind und dadurch weniger verdienen. Wer mehr arbeiten will, muss dafür hingegen teure Angebote in Anspruch nehmen: In der Deutschschweiz nutzen vier von zehn
Familien eine Kindertagesstätte – in der Westschweiz sind es sogar fast sechs von zehn Familien.
Familien werden durch Politik in ganz vielen verschiedenen Themenbereichen beeinflusst und es gibt auch immer wieder neue Vorstösse, welche die Schweizer Familienpolitik verändern wollen. Nachfolgend stellen wir euch drei davon vor, die im Moment gerade debattiert werden.
Familienzeit-Initiative
Seit diesem April werden Unterschriften für die Familienzeit-Initiative gesammelt. Damit eine Volksinitiative zustande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 Unterschriften von stimmberechtigten Bürger:innen gesammelt werden. Danach wird über den Vorschlag abgestimmt.
Die Familienzeit-Initiative fordert 18 Wochen Familienzeit für beide Elternteile – also insgesamt 36 Wochen. Bisher bekommt eine Mutter in der Schweiz 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und ein Vater erhält zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Die Initiative verlangt also nicht nur insgesamt mehr Elternzeit, sondern gerade für das andere Elternteil eine gleichberechtigte Dauer.
Mit der Initiative würde die Schweiz im europäischen Vergleich deutlich aufholen – im Moment hat nämlich kaum ein Land eine so geringe Elternzeit wie die Schweiz. In Spanien erhalten Eltern beispielsweise während je 16 Wochen einen vollen Lohnersatz. In Deutschland können Eltern bis zu drei Jahren Elternzeit beziehen, wobei sie ein bis zwei Jahre lang ein Elterngeld bezahlt erhalten. In Norwegen bekommen Eltern sogar 49 Wochen Elternzeit zum vollen Gehalt. Von diesen Wochen sind 15 für den Vater und 19 für die Mutter reserviert – der Rest kann flexibel aufgeteilt werden.
Das Initiativkomitee verspricht sich von der Annahme der Initiative nicht nur eine Entlastung neuer Eltern, sondern auch mehr Gleichberechtigung und eine höhere Arbeitsmarktpartizipation von Frauen. Während in der Schweiz aktuell nämlich 82 % der Mütter arbeiten, sind 78 % von ihnen in Teilzeit angestellt. Im europäischen Schnitt arbeiten zwar nur 72 % der Mütter, dafür beträgt ihre Teilzeitquote lediglich 32 %. Es gibt aber auch Kritik an der Familienzeit: Gegner:innen fürchten, dass die Familienzeit zu hohen Kosten führen könnte und in der praktischen Umsetzung schwierig wäre. Ausserdem argumentieren sie, dass die Familienzeit den Fachkräftemangel weiter verstärken könnte. Mehr Argumente findest du beispielsweise hier.
Betreuungszulagen für Kita-Kinder
Im März 2022 begann die Sammelfrist für eine andere Familien-Initiative in der Schweiz: die Kita-Initiative. Sie kam im Juli 2023 mit rund 105’000 Unterschriften zustande. Zurzeit debattiert das Parlament über einen indirekten Gegenvorschlag. Während eine Initiative immer die Verfassung ändert, kann das Parlament als Alternative eine Gesetzesänderung vorschlagen. Das Initiativkomitee kann daraufhin die Initiative zurückziehen und das Gesetz tritt stattdessen in Kraft – sofern nicht das Referendum dagegen ergriffen wird.
Die Kita-Initiative forderte genügend bezahlbare Kita-Plätze für alle. Konkret sollen alle Eltern von Kindern bis zu sechs Jahren Anspruch auf einen Kita-Platz haben, für den sie höchstens 10 % ihres Einkommens ausgeben müssen. Im Moment sind die Kosten und die Subventionen der Kitas kantonal geregelt. Im Schnitt kostet eine Vollzeitbetreuung zwischen 1’800 und 3’000 Franken pro Monat. Wie viel davon der Kanton übernimmt, hängt vom Kanton und oftmals auch vom Einkommen der Eltern ab.
Dem National- und Ständerat ging die Kita-Initiative zu weit. Im indirekten Gegenvorschlag des Ständerats sollen Eltern pro Kind und Fremdbetreuungstag monatlich 100 Franken erhalten. Für eine Vollzeitbetreuung wären das also 500 Franken pro Monat. Der Nationalrat hat diesem Vorschlag zugestimmt und ergänzt, dass der Bund die Qualität der Kita-Angebote mit einem Kredit von bis zu 200 Millionen Franken verbessern soll. Weil der Nationalrat den indirekten Gegenvorschlag des Ständerats verändert hat, muss als nächstes wieder der Ständerat darüber abstimmen.
Individualbesteuerung
Mit der Individualbesteuerung wurde nun ein indirekter Gegenvorschlag zu einer noch älteren Volksinitiative beschlossen. Die Sammelfrist der Steuergerechtigkeits-Initiative begann im März 2021 und wurde im September 2022 beendet.
Die Initiative verlangte, dass Personen unabhängig ihres Zivilstands besteuert werden sollen. Bisher ist es in der Schweiz so, dass verheiratete Paare gemeinsam eine Steuererklärung ausfüllen, was oftmals zu viel höheren Steuern führt als bei Paaren, die nicht verheiratet sind und je eine Steuererklärung ausfüllen. Das liegt daran, dass die Steuern in der Schweiz progressiv sind und Menschen mit doppelt so hohem Einkommen mehr als doppelt so hohe Steuern bezahlen. Der Unterschied in Steuern zwischen verheirateten und nicht verheirateten Paaren wird auch als Heiratsstrafe bezeichnet und führt dazu, dass es sich für verheiratete Frauen oftmals nicht lohnt, überhaupt noch oder in einem hohen Pensum zu arbeiten. Gerade bei Müttern – wo die Pensums-Erhöhung nicht nur mit mehr Steuern, sondern auch mit mehr Kita-Kosten einhergeht – kann das zu einem geringeren Pensum führen.
Auch zu dieser Initiative hat das Parlament einen indirekten Gegenvorschlag gemacht, damit anstatt der Verfassung nur das Gesetz geändert werden muss und der Wechsel schneller geschehen kann. Allerdings haben National- und Ständerat sehr lange gebraucht, um sich auf einen Gegenvorschlag zu einigen. Die Gegner:innen der Individualbesteuerung fürchten nämlich, dass sie Familien mit traditioneller Rollenteilung schlechterstellt, in denen der Mann arbeitet und die Frau sich um die Kinder kümmert. Auch über die konkreten Steuertarife wurde viel diskutiert.
Die Debatte im Parlament war sehr knapp. Im Ständerat kam es in den Abstimmungen mehrfach zu einem Patt mit 22 zu 22 Stimmen. In diesem Fall entscheidet der Ständeratspräsident. Letzten Freitag fand im Parlament schliesslich die Schlussabstimmung über den indirekten Gegenvorschlag statt. Die Gesetzesänderung wurde dabei angenommen. Doch auch gegen das Gesetz kann noch das Referendum ergriffen werden. Die EVP prüft zurzeit, ob sie das Referendum ergreifen will, und auch die kantonalen Finanzdirektoren erwägen das Kantonsreferendum.
Die Zukunft der Familien
In der Schweiz gibt es zurzeit also verschiedene Vorstösse, die Familien entlasten und diversere Familienmodelle zulassen sollen. Besonders auf die Gleichstellung und die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen wird dabei Wert gelegt. Damit passt sich die Politik auch der Realität vieler Familien in der Schweiz an: Waren 2010 noch fast sechs von zehn Familien so organisiert, dass der Mann Vollzeit und die Frau mit einem Pensum unter 50 Stellenprozent arbeitet, sind es 2021 gerade mal noch vier von zehn Familien. Beliebter wurden dafür Familienmodelle, in denen Frauen in einem hohen Teilzeit-Pensum (über 50 Stellenprozent) oder ebenfalls Vollzeit arbeiten. Auch Modelle, in denen beide Eltern Teilzeit arbeiten, nehmen zu. Familien werden also immer diverser. Das schafft nicht nur neue Ansprüche an die Politik, sondern wird auch durch politische Vorstösse erst ermöglicht.
Erstellt von Alina Zumbrunn