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11. Juni 2025

Risiken und Chancen der Migration

Am 29.06.2024, einem warmen Sommertag, zeigte die Schweizer Nationalmannschaft mitreissenden Fussball und gewann 2:0 gegen die Fussballgrossmacht Italien. Dabei stachen nach einhelliger Meinung zwei Personen hervor: Der Trainer Murat Yakin, ein in Basel geborenes Kind türkischer Einwanderer, der selber schon in der Schweizer Nationalmannschaft gespielt hatte und die Nati perfekt eingestellt hatte. Auf dem Platz wiederum zog der Kapitän Granit Xhaka die Fäden. Ein Schweizer Fussballstar mit albanischen Wurzeln, der für seine Bodenständigkeit, Fleiss und Führungsstärke bekannt ist.[1]

Nicht jeder Mensch, der in die Schweiz emigriert, kann Kapitän:in der Nati werden. Doch zeigen diese Beispiele, was für fantastische Chancen Migration einem Land bieten kann, ob die Zuwanderer nun Fussball spielen, in Pflegeberufen oder als Mediziner:innen arbeiten, in der Landwirtschaft angestellt sind oder als Informatiker:innen an der Digitalisierung mitwirken.

Migration birgt aber auch Risiken. So ist die Kriminalitätsrate unter Teilen der Zugezogenen überproportional hoch, was in den Medien unter dem Begriff «Ausländerkriminalität» diskutiert wurde.[2] In den letzten Jahren gehäuft auftretende islamistische Attentate in deutschen Grossstädten sowie Ehrenmorde unterstreichen,[3] dass nicht alle, die in ein Land migrieren, die gleichen Werte wie die Aufnahmegesellschaft teilen und sich friedlich integrieren wollen.[4]

Wir möchten in diesem Artikel nicht für die ein oder andere Seite eintreten, sondern die Chancen und Risiken von Migration und Integration aufzählen. Das ist insofern hilfreich, als dass die Haltung der Politik zu Migration, Integration und der Rolle des Staates oft davon abhängt, ob der Fokus eher auf den Risiken oder Chancen liegt. Bevor wir fortfahren, wollen wir aber einen kurzen Überblick über die Migration in der Schweiz geben.

Die Schweiz als Migrationsland

Die Schweiz kann mit gutem Grund als Migrationsland bezeichnet werden. Im Jahr 2022 betrug die Zahl der ständigen und nicht ständigen ausländischen Wohnbevölkerung – also aller Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung für mehr als zwölf Monate, abzüglich Flüchtlinge und Asylsuchende[5] – insgesamt 2’241’854 oder 26% der Gesamtbevölkerung.[6] Gut zwei Drittel dieser Personen stammten aus EU- oder EFTA-Staaten.[7] Die ausländischen Wohnbevölkerung in Deutschland, die sich auf 13.4 Millionen beläuft, ist mit 15,2 % an der Gesamtbevölkerung vergleichsweise klein.[8] Betrachtet man die Personen, die zum Asylbereich gezählt werden, so waren 2022 insgesamt 204‘374 Menschen in der Schweiz ansässig. Diese Zahl setzt sich aus anerkannten Flüchtlinge, Menschen mit Schutzstatus S (der nur Ukrainern zuteil wird), vorläufige Aufnahmen und Übrige zusammen.[9]

In der Grafik rechts siehst du die Anzahl Ausländer in der Schweiz zwischen 1850 und 2015, nach Nationalität oder Herkunftsregion. Bemerkung: Die Stärke (und nicht die Richtung) der Kurven entspricht der Anzahl Ausländer:innen.

Quelle: Bundesamt für Statistik, swissinfo

Und in der Grafik links siehst du den Anteil Ausländer:innen an der Gesamtbevölkerung.

 

Quelle: Bundesamt für Statistik, swissinfo

Diese Entwicklung in der Migration ist jedoch keineswegs neu. Historisch gesehen setzte die moderne Migration in die Schweiz mit dem Zweiten Weltkrieg ein. Als Reaktion auf die grossen innereuropäischen Flüchtlingsströme unterzeichnete die Schweiz 1955 die Genfer Flüchtlingskonvention, die die Rechte von Geflüchteten regelt. Es dauerte allerdings noch bis 1981, bis das erste Asylgesetz folgte, das festlegte, unter welchen Bedingungen jemand als Flüchtling anerkannt wird.

Ein weiterer bedeutender Migrationsgrund, neben der Flucht vor Krieg und Verfolgung, ist die arbeitsbedingte Zuwanderung. Diese nahm mit dem Wirtschaftswachstum der 1970er-Jahre zu, ging in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation zurück und erlebte mit der Annäherung an die EU erneut einen Aufschwung. Diese Entwicklung mündete 2005 in ein umfassendes Migrationsgesetz.

Chancen

Einer der grossen Vorteile der Migration betrifft die wirtschaftlichen und demografischen Herausforderungen, mit denen viele europäische Länder gerade konfrontiert sind. Wie viele europäische Länder hat die Schweiz eine alternde Gesellschaft mit sinkender Geburtenrate und steigender Lebenserwartung. Der damit zusammenhängende und bestehende Fachkräftemangel – etwa im Gesundheitswesen, auf dem Bau, der Industrie oder in der Landwirtschaft – kann deshalb nicht allein durch Schweizer Bürger:innen gedeckt werden. Migration bietet hier die Chance, junge Menschen in die Schweiz zu holen, die essenzielle Berufe ausfüllen.[10]

Zudem profitiert die Schweiz von der Innovationskraft qualifizierter Zuwandernder, etwa aus der IT-Branche, die hier Unternehmen gründen oder mitgestalten. Menschen mit Migrationshintergrund übernehmen oft auch Führungsverantwortung – so hat die Schweiz europaweit den höchsten Anteil ausländischer CEOs.[11]

Aber auch kulturell und künstlerisch kann Migration eine Bereicherung darstellen. Von kulinarischen Angeboten wie Döner oder Sushi bis zu Einflüssen aus amerikanischer oder koreanischer Musik, Wissenschaft oder Kunst – Vielfalt zeigt sich in vielen Lebensbereichen. Historische Beispiele sind der Physiker Albert Einstein,[12] der, nach Aussage seiner Schwester, aufgrund seiner demokratischen Orientierung von Deutschland in die Schweiz übersiedelte und später an der ETH mit der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie zu Weltruhm gelang, und der österreichische Autor Stefan Zweig, der während des Ersten Weltkriegs in die Schweiz flüchtete und sich in Genf mit anderen Intellektuellen und Pazifisten traf.

Schliesslich bietet die Aufnahme von Flüchtlingen die Möglichkeit, den eigenen Werten gemäss zu handeln, indem man humanitären Verpflichtungen und dem Wert internationaler Solidarität mit vom Krieg und Folter bedrohten Menschen gerecht wird. Erkennt man Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft und Religion grundlegende Rechte ab, so wirkt die Zuschreibung von Rechten an die eigene Bevölkerung oder an die Bevölkerung befreundeter Staaten willkürlich und die zugrundeliegenden Werte beliebig.

Migration und Integration

Damit Migration diese Chancen bieten kann, müssen die Zugezogenen sich in die Gesellschaft einbringen oder eingliedern. Sie müssen sich integrieren.

Im Ausländer- und Integrationsgesetz der Schweiz bedeutet dies, dass Zugezogene mindestens eine der Landessprachen sprechen, sich bilden und arbeitstätig sein müssen. Hier ergeben sich nun mögliche Risiken, denn diese Integration kann für beide Seiten, die sich Integrierenden und die Aufnahmegesellschaft, herausfordernd sein.

Risiken

Gelingt Integration nicht, können Herausforderungen entstehen – für die Migrant:innen ebenso wie für die Aufnahmegesellschaft. Sprachliche Defizite und kulturelle Unterschiede erschweren oft den Zugang zu Arbeit oder Bildung. Damit Integration gelingt, müssen das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt offen und anpassungsfähig sein, um sprachliche Barrieren nach Möglichkeit zu reduzieren. Das kann erhöhte finanzielle Ressourcen erfordern und, im Fall einer Überlastung, beispielsweise der Bildungsinfrastruktur, zu Qualitätseinbussen führen. Eine plötzliche starke Zuwanderung kann ausserdem zu Druck auf den Wohnungsmarkt, das Gesundheitswesen und andere öffentliche Dienstleistungen führen. In bestimmten Branchen kann Migration auch zu Lohndruck führen, wenn Migrant:innen bereit sind, zu niedrigeren Löhnen als die ansässige Bevölkerung zu arbeiten.

Fehlt es an Angeboten, um sprachliche und anderweitige Bildungsbarrieren zu reduzieren, besteht die Möglichkeit, dass Zugezogene, vor allem Geflüchtete, keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gesellschaft finden.

Damit steigt auch das Risiko von sozialer Ausgrenzung oder Kriminalität. Tatsächlich sind Asylsuchende und Personen mit ausländischem Pass im Vergleich zur Schweizer Bevölkerung überproportional häufig in Straftaten verwickelt.[13] Die sozialen Faktoren, die dafür eine entscheidende Rolle spielen, sind laut einer Publikation des Ifo Instituts, aus dem Jahre 2025, aber «Bildungsgrad, Einkommen, psychische Belastung, Gewalterfahrungen in der Kindheit und ortsspezifische Faktoren, etwa ihre Konzentration in Ballungsräumen mit hoher Kriminalitätsdichte» und nicht die Herkunft.[14]

Trotzdem, Volksinitiativen wie die 2010 angenommene «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer»[15]zeigen, dass Kriminalität im Kontext von Migration als besonders problematisch wahrgenommen wird.

Ein letzter Aspekt, der mit vermehrter Zuwanderung einhergeht, betrifft das Zusammenleben der Kulturen. Während für eine Person eine Zunahme an kultureller Vielfalt als bereichernd empfunden wird, mag dies für eine andere mit einem Gefühl von Entfremdung einhergehen. So kann die Volksinitiative, die 2009 mit der Forderung eines Minarettverbots Erfolg hatte, als Wunsch gegen Überfremdung interpretiert werden.[16]

Integration und die Rolle des Staats

Mit dem Fokus auf die Chancen, die Migration verspricht, und der gleichzeitigen Anerkennung, dass Integration für Ausländer:innen nicht immer einfach ist, landet die Schweiz beim aktuellen Konsens, nämlich, dass man von Ausländer:innen fordert, dass sie sich integrieren, und diese Bemühungen auch fördert.

So ist im Ausländer- und Integrationsgesetz (Art. 58a AIG) definiert, dass Ausländer:innen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu achten haben, die Werte der Bundesverfassung respektieren müssen, sich Sprachkompetenzen in der Landessprache aneignen und am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung teilnehmen müssen. Zugezogene werden beim Erfüllen dieser Forderungen insofern unterstützt, als dass die Schweiz ihnen mithilfe der Integrationsagenda Schweiz [17] Förderung zukommen lässt. Dabei werden Geflüchtete und Erstangekommene nicht nur mit Informationsmaterial versorgt, sondern der Staat bietet zudem Sprachkurse und Betreuungsangebote bei der Jobsuche an.

Am Ende bleibt es also ein Abwägen, in der Migration hauptsächlich Risiken zu sehen und in der Integrationspolitik vor allem Forderungen an die Zugezogenen zu formulieren oder bei der Migration vor allem die Chancen zu betrachten und Migration als Grundrecht aufzufassen. Klar ist: Wer nur versucht, die Risiken zu minimieren, riskiert dabei, die Chancen ungenutzt zu lassen. Wer sich hingegen nur auf die Chancen fokussiert, läuft Gefahr, zu hohe Risiken in Kauf zu nehmen.

Eine aktuelle Volksinitiative, die die Debatte um Migration in den Fokus rückt, ist die von der SVP lancierte Volksinitiative «Keine 10 Millionen Schweiz!».

Diese fordert, dass die ständige Wohnbevölkerung bis zum Jahr 2050 die 10 Millionen-Marke nicht übersteigen soll. Die damit einhergehende Steuerung der Migration wäre aber nur möglich, wenn die Freizügigkeit mit der EU gekündigt wird. Das würde bedeuten, dass EU-Bürger:innen künftig nicht mehr ohne Weiteres in der Schweiz arbeiten dürften. Weitere Verträge, aus denen die Schweiz aussteigen müsste, wären die Menschenrechtskonvention, die Flüchtlingskonvention und die Kinderrechtskonvention. Die Volksinitiative kann also als Ausdruck eines primären Fokus auf die Risiken der Migration verstanden werden.

Der Bundesrat fokussiert sich hingegen auf deren Chancen: Aufgrund der Kündigung von Verträgen und den demographischen Schwierigkeiten in der Schweiz empfiehlt er die Initiative zur Ablehnung.

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Erstellt von Franz Altner