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16. August 2022

Neutralität

Spätestens seit dem Ukraine-Krieg ist der Begriff der Neutralität in aller Munde. Das Prinzip, das dahintersteckt, hat in der Schweiz eine lange Tradition. Doch was genau bedeutet ‘Neutralität’ überhaupt? Und wo liegen die Herausforderungen der Schweizer Neutralitätspolitik? Antworten darauf findest du in diesem Blogbeitrag.

Eine Umfrage von Anfang Juni 2022 zeigt, dass 89% der Schweizer Bevölkerung das Prinzip der Neutralität befürworten. Die Neutralität geniesst somit breite Zustimmung in der Bevölkerung, ist seit langem ein Teil der «Schweizer Identität» und hat die Geschichte des Bundesstaates entscheidend mitgeprägt.  

Bedeutung der Neutralität gemäss Völkerrecht

Doch was beinhaltet Neutralität denn nun eigentlich? In der Schweizer Bundesverfassung ist die genaue Bedeutung der Neutralität nicht definiert. Demzufolge ist der genaue Begriffsinhalt umstritten. Das Völkerrecht liefert jedoch erste Antworten auf die Definitionsfrage. Neutralität in Form des Neutralitätsrechts wurde erstmals 1907 in zwei völkerrechtlichen Konventionen, den sogenannten Haager Abkommen, festgehalten. 

Gemäss diesen Abkommen hat ein neutraler Staat das Recht, mit anderen Staaten Handel zu betreiben – auch mit kriegführenden Staaten. Hierbei darf beim Verkauf von Kriegsgütern nicht zwischen verschiedenen miteinander kriegführenden Staaten unterschieden werden. Zudem ist es neutralen Staaten nicht erlaubt, in militärische Konflikte zwischen anderen Staaten zu intervenieren oder den Konfliktparteien indirekt zu helfen. Dies beinhaltet beispielsweise, dass neutrale Staaten weder Truppen und Gebiete noch ihren Luftraum zur Verfügung stellen dürfen. Die kriegführenden Staaten stehen hingegen in der Pflicht, die Neutralität anderer Staaten zu respektieren. 

Ausprägungen der Neutralitätspolitik

Dem Neutralitätsrecht steht die Neutralitätspolitik gegenüber. Die ist deutlich weniger klar definiert. Blickt man in die Schweizer Vergangenheit, zeigen sich vor allem zwei Formen der Neutralitätspolitik: Die «integrale Neutralität» beschreibt eine Neutralitätspolitik, in der die militärische Fähigkeit zur Selbstverteidigung, die militärische Bündnisfreiheit und die Nichtbeteiligung an wirtschaftlichen und militärischen Sanktionen angestrebt wird. Die «differenzielle Neutralität» unterscheidet sich in Bezug auf Sanktionen. Bei dieser Form der Neutralitätspolitik werden nämlich wirtschaftliche Sanktionen mitgetragen. 

Zur Zeit des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit verfolgte die Schweiz eine «differenzielle Neutralitätspolitik». So beteiligte sie sich in der Zwischenkriegszeit beispielsweise an wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Mussolini-Regime. Während des Zweiten Weltkriegs wechselte die Schweiz zu einer «integralen Neutralitätspolitik». An dieser hielt sie bis zum Ende des Kalten Kriegs fest. Folglich verzichtete die Schweiz zum Beispiel darauf, die Sanktionen der UNO gegen das Apartheid-Regime zu übernehmen. In den 1990er Jahren beteiligte sich die Schweiz dann aber an den UNO-Wirtschaftssanktionen gegen den Irak, Jugoslawien, Haiti und Libyen und kehrt zunehmend wieder zur «differenziellen Neutralität» zurück.

Wozu Neutralität?  

Debatten rund um die Neutralität und um das, was sie beinhaltet, werden oft emotional geführt. Daher stellt sich die Frage: Was bringt die Neutralität überhaupt? 

Ursprünglich diente die Neutralität der Wahrung des inneren Friedens. Schliesslich war die heterogene Schweiz bei äusseren Konflikten oft auch innerlich zerrissen, da beispielsweise verschiedene Landesteile mit unterschiedlichen Konfliktparteien sympathisierten. Grundlegend war auch die Schutzfunktion. Die Neutralität soll demnach verhindern, dass die Schweiz in Kriege gerät. Eine neutrale Haltung diente auch der Wohlstandssicherung, weil der Handel unabhängig von der politischen Weltlage fortgeführt werden konnte. Des Weiteren trug eine neutrale Schweiz dazu bei, das Gleichgewicht zwischen Grossmächten zu bewahren, denn gerade neutrale Staaten dienten als Pufferzone. Letztlich kann ein neutraler Staat auch eine friedensfördernde Funktion einnehmen, indem er beispielsweise als Vermittlungsstandort genutzt wird. 

Neutralität im Wandel

Die oben beschriebenen Funktionen der Neutralität haben in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren. Das Ende des Kalten Krieges und damit der Zusammenbruch des bipolaren Machtsystems machten Pufferzonen zunehmend überflüssig. Gleichzeitig verstärkte sich die internationale Zusammenarbeit, wodurch neutrale Staaten ihre zentrale Rolle als Vermittler allmählich verloren zu haben scheinen. Angesichts neuer Bedrohungen wie beispielsweise dem globalen Terrorismus oder Umweltkatastrophen, ist auch die Schutzfunktion in den Hintergrund gerückt. Denn Terrorismus und Umweltkatastrophen können jederzeit auch Länder treffen, die nicht direkt in Konflikte involviert sind. Hinzu kommt die starke wirtschaftliche Verflechtung, die als Folge der Globalisierung und der Europäischen Integration entstanden ist. Besonders durch Staatenverbünde wie die EU sind auch nicht neutrale Staaten im Falle eines Krieges wirtschaftlich mehr oder weniger abgesichert. 

Ausblick

Im Zuge des Ukraine-Krieges hat die Frage nach einer zeitgemässen Neutralitätspolitik wieder an Aktualität gewonnen. Derzeit liegt die Herausforderung darin, die lange Tradition der Schweizer Neutralität an neue Kontextbedingungen anzupassen. 

Wie stehst du dazu? Denkst du, die Neutralität ist allmählich an ihre Grenzen gekommen? Oder findest du, dass die Neutralität problemlos mit den aktuellen Entwicklungen vereinbar ist? Schreib es in die Kommentare!

Erstellt von Rebekka Isler