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2. Februar 2025

Mindestlohn in der Schweiz – Ein gerechter Lohn für alle?

Die Forderung nach gerechten Löhnen ist seit Jahrzehnten ein zentrales Thema in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In vielen Ländern gibt es gesetzliche Mindestlöhne, die sicherstellen sollen, dass Arbeitnehmende für ihre Arbeit eine existenzsichernde und faire Entlohnung erhalten.

In der Schweiz existiert bislang kein landesweiter Mindestlohn, doch einige Kantone haben bereits eigene Regelungen eingeführt. Am 9. Februar 2025 entscheiden nun auch die Kantone Solothurn und Baselland über die Einführung eines kantonalen Mindestlohns.

Doch wo steht die Schweiz in der Mindestlohndebatte? Welche Argumente sprechen für und gegen eine solche Regelung? Und welche Auswirkungen hätte ein Mindestlohn auf junge Menschen? Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Hintergründe, Chancen und Herausforderungen einer möglichen Einführung kantonaler Mindestlöhne.

Der Ursprung des Mindestlohns

Die Idee des Mindestlohns entstand Ende des 19. Jahrhunderts. 1896 führte Neuseeland mit dem «Industrial Conciliation and Arbitration Act» Lohnschlichtungsstellen ein, um faire Löhne sicherzustellen. Auch in den USA wurde 1938 der erste landesweite Mindestlohn im Rahmen des «Fair Labor Standards Act» eingeführt. Dieses Gesetz legte nicht nur eine Lohnuntergrenze fest, sondern regelte auch Arbeitszeiten und verbot Kinderarbeit. 

In Europa gewann die Mindestlohnbewegung im 20. Jahrhundert an Bedeutung. Grossbritannien führte 1909 erste Mindestlohnregelungen ein, gefolgt von anderen europäischen Ländern. Diese Massnahmen wurden als Instrumente zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit betrachtet. Durch die Festlegung von Lohnuntergrenzen sollte sichergestellt werden, dass Arbeitnehmende ein Einkommen erzielen, das ihre grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt. Heute haben die meisten europäischen Länder gesetzliche Mindestlöhne eingeführt, die regelmässig angepasst werden, um den Lebensstandard der Arbeitnehmenden zu sichern und soziale Gerechtigkeit zu fördern. 

  • Deutschland: Seit Januar 2024 beträgt der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland 12,41 Euro pro Stunde. Eine weitere Erhöhung auf 12,82 Euro ist für Januar 2025 geplant aufgrund der Inflation und allgemeinen Lohnentwicklung.
  • Frankreich: In Frankreich liegt der Mindestlohn bei 11,65 Euro pro Stunde. Auch das französische System sieht entsprechend der Teuerung regelmässige Anpassungen vor. 
  • USA: Auf Bundesebene beträgt der Mindestlohn in den USA seit 2009 unverändert 7,25 US-Dollar pro Stunde. Allerdings haben viele Bundesstaaten und Städte eigene, höhere Mindestlöhne eingeführt, um den regionalen Lebenshaltungskosten gerecht zu werden.

In der Schweiz gibt es keinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn auf Bundesebene. Eine Volksinitiative im Jahr 2014, die einen nationalen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde vorschlug, wurde von 76 % der Wähler:innen abgelehnt. Dennoch haben seither einige Kantone ihre eigenen Mindestlöhne eingeführt. Der Kanton Neuenburg war 2017 der erste, der einen kantonalen Mindestlohn von 20.08 Franken pro Stunde einführte. Es folgten weitere Kantone. Dennoch besteht in den meisten Kantonen aktuell noch kein Mindestlohn.

Mindestlohn: Definition und Funktionsweise

Zunächst: Was ist ein Mindestlohn? Ein Mindestlohn ist die gesetzlich oder tariflich festgelegte Lohnuntergrenze, die Arbeitnehmende für ihre Arbeit erhalten müssen. Er soll sicherstellen, dass Beschäftigte für ihre Arbeit eine existenzsichernde und faire Entlohnung erhalten. Mindestlöhne gelten in vielen Ländern weltweit, unterscheiden sich jedoch in Höhe, Durchsetzung und Ausnahmen.

Der Mindestlohn kann entweder:

gesetzlich
festgelegt sein, wie in vielen europäischen Ländern. 
kollektivvertraglich
geregelt sein, wie es in der Schweiz häufig der Fall ist. Hier legen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände Mindestlöhne in bestimmten Branchen fest.

Bei der Umsetzung eines Mindestlohns müssen mehrere Faktoren geklärt werden:

Höhe
Der Mindestlohn muss so angesetzt sein, dass er einerseits faire Löhne und andererseits mögliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in einem ausgewogenen Verhältnis hält.
Anpassung
In vielen Ländern wird der Mindestlohn regelmässig an die Inflation oder wirtschaftliche Entwicklungen angepasst.
Ausnahmen
In manchen Ländern gibt es Ausnahmen für bestimmte Gruppen, z. B. Jugendliche, Praktikant:innen oder Saisonarbeitskräfte.


Situation in der Schweiz

In der Schweiz gibt es keinen einheitlichen nationalen Mindestlohn, doch in vielen Branchen werden Mindestlöhne durch Gesamtarbeitsverträge (GAV) oder Normalarbeitsverträge (NAV) geregelt. So bestehen beispielsweise GAV für das Baugewerbe, die Gastronomie und die Reinigungsbranche.

  • Gesamtarbeitsverträge (GAV): Gesamtarbeitsverträge sind Vereinbarungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften einer bestimmten Branche. Sie legen Mindestlöhne und andere arbeitsrechtliche Bedingungen fest. Ein GAV gilt grundsätzlich nur für die Mitglieder der unterzeichnenden Verbände (also für die Unternehmen, die Mitglied eines Arbeitgeberverbands sind, und die Arbeitnehmer:innen, die der Gewerkschaft angehören). Der Bundesrat kann einen GAV jedoch für allgemeinverbindlich erklären. In diesem Fall gilt der Vertrag für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen einer Branche oder Region.
  • Normalarbeitsverträge (NAV): In Branchen oder Berufen, in denen kein GAV existiert, können der Bund oder Kantone Normalarbeitsverträge erlassen.

Zudem haben einige Kantone eigene flächendeckende Mindestlöhne eingeführt, die für alle Branchen gelten und im Zweifel Vorrang vor jeglichen GAV und NAV geniessen:

1) Neuenburg: Als erster Kanton führte Neuenburg im Jahr 2017 einen Mindestlohn von 20 Franken  pro Stunde ein.
2) Jura: Der Kanton Jura zog in 2018 mit einem Mindestlohn von 20 Franken pro Stunde nach.
3) Genf: Seit November 2020 gilt im Kanton Genf ein Mindestlohn von 23,27 Franken pro Stunde, was bei einer 42-Stunden-Woche einem monatlichen Bruttolohn von etwa 4’250 Franken entspricht. Dieser Mindestlohn ist einer der höchsten weltweit.
4) Tessin: Der Kanton Tessin hat seit Januar 2021 einen Mindestlohn, der je nach Wirtschaftszweig zwischen 19,75 Franken und 20,25 Franken pro Stunde variiert. 
5) Basel-Stadt: Seit 2022 beträgt der Mindestlohn in Basel-Stadt 21,70 Franken pro Stunde. Dieser gilt jedoch nicht für alle Wirtschaftssektoren.

Einen einheitlichen nationalen Mindestlohn gibt es bislang nicht. Im Jahr 2014 wurde eine Volksinitiative für einen nationalen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde von 76 % der Stimmberechtigten abgelehnt.

  • Wirtschaftliche Diversität: Die Schweizer Kantone unterscheiden sich erheblich in ihrer wirtschaftlichen Struktur und Stärke. Ein einheitlicher Mindestlohn könnte in wirtschaftlich schwächeren Regionen zu Problemen führen, während er in wohlhabenderen Gebieten angemessen wäre.
  • Tarifautonomie: In vielen Branchen werden Löhne durch Gesamtarbeitsverträge (GAV) zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden festgelegt. Diese Verträge berücksichtigen branchenspezifische Gegebenheiten und machen einen nationalen Mindestlohn in den Augen einiger Akteure überflüssig.
  • Subsidiaritätsprinzip: Die Festlegung von Mindestlöhnen wird von einigen als Aufgabe der Kantone betrachtet, die ihre spezifischen Bedürfnisse besser kennen

Abstimmungen in Solothurn und Baselland

Am 9. Februar 2025 stehen in den Kantonen Solothurn und Basel-Landschaft Volksabstimmungen über die Einführung kantonaler Mindestlöhne an:

Kanton Solothurn: Die SP Solothurn hat eine Initiative eingereicht, die einen kantonalen Mindestlohn von 23 Franken brutto pro Arbeitsstunde fordert. Dieser Betrag soll jährlich der Teuerung angepasst werden, sofern diese positiv ist.
Kanton Baselland: Hier wird über eine Initiative abgestimmt, die einen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde für alle Branchen vorsieht, mit Ausnahme der Landwirtschaft. Die Initiative wird von Gewerkschaften sowie SP und Grünen unterstützt

Argumente der Befürworter:innen

1) Existenzsichernde Löhne: Ein Mindestlohn trägt dazu bei, dass die Existenz aller Arbeitnehmenden gesichert ist, und verhindert Armut trotz Erwerbstätigkeit. Dies betrifft besonders Branchen wie die Reinigung, den Detailhandel oder die Gastronomie, wo viele Beschäftigte weniger als 4’000 Franken pro Monat bei Vollzeitarbeit verdienen.

2) Weniger Abhängigkeit von Sozialhilfe: Tieflöhne führen dazu, dass der Staat mit Sozialleistungen (z. B. Prämienverbilligungen, Ergänzungsleistungen) nachhelfen muss. Ein Mindestlohn entlastet die öffentliche Hand und verhindert, dass Steuerzahlende indirekt tiefe Löhne subventionieren.

3) Stärkung der Kaufkraft: Höhere Löhne erhöhen die Kaufkraft der Arbeitnehmenden, was die lokale Wirtschaft ankurbelt und sich positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken kann.

Schutz vor Lohndumping: Ein gesetzlicher Mindestlohn verhindert, dass Arbeitgebebende Arbeitnehmende ausbeuten. Dies sichert faire Wettbewerbsbedingungen und schützt vor unlauterer Konkurrenz durch Unternehmen, die mit Dumpinglöhnen operieren.

Argumente der Gegner:innen

1) Arbeitsplatzverlust: Kritiker:innen befürchten, dass ein gesetzlicher Mindestlohn zu höheren Kosten für Unternehmen führt, die diese entweder durch Preiserhöhungen an die Konsument:innen weitergeben oder durch Stellenabbau kompensieren müssen. Besonders betroffen wären dabei geringqualifizierte Arbeitskräfte und Wiedereinsteiger:innen. 

2) Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit: Ein staatlich festgelegter Mindestlohn wird als Eingriff in die freie Marktwirtschaft betrachtet. Die Lohnfindung sollte laut Gegner:innen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmenden erfolgen und nicht durch staatliche Vorgaben. Sie argumentieren, dass die bestehenden GAV und NAV ausreichend sind, um faire Löhne zu gewährleisten.

3) Mangelnde Differenzierung: Ein einheitlicher Mindestlohn berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den ländlichen gegenüber den städtischen Regionen. In ländlichen Gebieten mit niedrigeren Lebenshaltungskosten könnte ein hoher Mindestlohn zu überproportionalen Belastungen für lokale Unternehmen führen und deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen.

Welche Auswirkungen hat ein Mindestlohn auf junge Menschen?

Ein Mindestlohn hätte auch direkte Folgen für junge Menschen, die neben der Schule oder dem Studium in Nebenjobs oder Praktika tätig sind.

Einerseits könnte ein Mindestlohn höhere Löhne und mehr finanzielle Unabhängigkeit für Jugendliche bedeuten. Wer bisher zwischen 16 und 20 CHF pro Stunde verdient, würde von einer Lohnerhöhung profitieren. Besonders in Branchen wie der Gastronomie, dem Detailhandel oder der Reinigung, in denen viele junge Menschen arbeiten, könnte sich dies positiv auswirken.

Andererseits besteht das Risiko, dass Unternehmen aufgrund der steigenden Lohnkosten weniger Nebenjobs und Praktikumsplätze anbieten. Arbeitgebende könnten dazu übergehen, Arbeitskräfte effizienter einzusetzen, Aushilfen seltener einzustellen oder auf Automatisierung zu setzen. Dies könnte die Möglichkeiten für junge Menschen einschränken, erste Berufserfahrungen zu sammeln.

Im Gegensatz zu Nebenjobs und Praktika wären Lehrstellen vom Mindestlohn kaum betroffen, da Lehrlingslöhne in der Regel durch GAV geregelt sind.

Fazit

Die Abstimmung über den Mindestlohn in Solothurn und Baselland ist eine wegweisende Entscheidung mit wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen – auch für junge Menschen. Unabhängig vom Ergebnis wird sie ein wichtiges Signal für andere Kantone setzen und die Mindestlohndebatte in der Schweiz weiter prägen. Wir sind daher gespannt auf das Ergebnis am 9. Februar

Erstellt von Clara Goebel